Das Samvardhan Projekt in Nepal hat das erste Jahr bereits hinter sich. Unser Team mit 18 Vollzeit- und 12 Teilzeit-MitarbeiterInnen hat hart und zum Teil in einem gefährlichen Umfeld gute Aufbauarbeit geleistet. Für mich stand Ende August der erste Projektbesuch mit einer vielseitigen Agenda an. Projektmitarbeiter ausbilden, Koordinationsmeeting mit allen Partnern, um die Aktivitäten für das kommende Jahr im Detail zu planen, Besuch der Zielgruppen und ein Meeting mit dem Projektkoordinator der EU.
Wahrscheinlich fragst Du Dich, ob sich eine solche Reise nicht durch Zoom-Meetings ersetzen ließe? Während der Pandemie haben wir gelernt, virtuell miteinander zu kommunizieren. Wir wollen doch alle den CO2 Abdruck nun möglichst geringhalten! Das stimmt, mit Zoom Meetings, Telefonaten und Berichten halten wir uns auf dem Laufenden, diskutieren Lösungen wöchentlich. Die Internetverbindung ist sehr gut und der regelmäßige Kontakt kein Problem mehr. Die Smartphones sind längst in Nepal angekommen und wir erhalten gute Bilder, Videos, Geschichten und kurze Berichte über die sozialen Medien, natürlich aus der Perspektive der Mitarbeiter. Diese Einblicke sind sehr informativ, können aber genauso irreführend sein. Über Whatsapp lese ich alles, was von der Projektgruppe gepostet wird und wo ich Fragen stelle, kommt postwendend eine Antwort oder mehr Informationen. Eine wichtige und sehr zeitaufwändige Arbeit ist das Inventar in den Wäldern um die Nationalparks Bardiya und Banke, die unsere Mitarbeiter mit den Farmergruppen durchführen müssen, um den Operationsplan zu schreiben, wie der Wald in den nächsten 5-10 Jahren gepflegt und genützt werden soll. Dieser wird dann von den Behörden mit Stempel und Unterschrift genehmigt. Ohne diese Genehmigung darf niemand den Wald antasten.
Unsere Mitarbeiter haben hin und wieder Bilder und Kommentare gepostet, die ich spannend fand. Als ich dann während des Koordinationsmeetings von diesen Mitarbeitern hörte, wie gefährlich diese Arbeit ist, habe ich realisiert, wie unkritisch ich ihre Nachrichten gelesen hatte und wie unkritisch sie über ihre Arbeit schreiben. Obwohl ich wusste, dass diese Wälder Tiger, Nashörner, Elefanten, Schlangen und jede Menge Wildschweine, Affen, Insekten und andere Tiere beheimaten, wurde ich durch die schönen Bilder der Wälder irritiert. Am gleichen Tag noch habe ich eine Richtlinie entworfen, um die Arbeitssicherheit der Mitarbeiter und Dorfgemeinschaften zu erhöhen, die wir nun strikt umsetzen werden. Das direkte Gespräch mit unseren Mitarbeitern ist unerlässlich. Wichtige Details bekomme ich oft erst beim Gespräch am Mittagstisch mit. Während Zoom Meetings sind persönliche Fragen nicht möglich, dafür fehlt die Privatsphäre und auch die persönliche Nähe.
Diese Einblicke ins Projekt und das Leben der Mitarbeiter kann ich nur bedingt aus den vierteljährlichen Reports lesen. Als ich dann den ersten wilden Tiger ein paar Meter vor uns den Weg überqueren sah wurde mir klar, in welcher konstanten Gefahr die Menschen hier leben. Genauso ist für unser Projektteam die Perspektive von außen und das Feedback sehr wichtig, damit sie die Leistung und Wirkung ihre Arbeit besser einschätzen können. Doch, ohne gute Vorbereitung wäre ein Projektbesuch nur eine Touristenreise. Das zweitätige interne Training für unsere Mitarbeiter, zugeschnitten auf ihre Bedürfnisse, hat sich trotz enormem Zeitaufwand sehr gelohnt. Ich weiß wie oft wir unkritisch und unreflektiert an unsere Arbeit herangehen, doch diese Eigenschaften sind unerlässlich, um die Zusammenarbeit mit den Zielgruppen möglichst effektive zu gestalten. Deshalb haben wir zwei Tage Training eingeplant, um unter anderem, unseren Mitarbeitern kritisches Denken näher zu bringen. Die Gegebenheiten nicht einfach akzeptieren, sondern hinterfragen ist der erste Schritt, um Lösungsansätze zu suchen. Das gilt nicht nur für die Arbeit, sondern auch für das private Leben, was die meisten, während dem Training erkannt und sehr geschätzt haben. Darauf aufbauend haben sie gelernt wie man bessere Berichte und auch Geschichten schreibt. Auch haben sie neue Methoden gelernt, wie der Mensch und die wilden Tiere besser zusammenleben können. Da unsere Zielgruppen vorbereitet werden, um mit den natürlichen Ressourcen des Waldes und Feldes Einkommen zu erwirtschaften, war ein Teil der Ausbildung den wirtschaftlichen Aspekten gewidmet.
Auch lässt sich der direkte Kontakt mit den Farmer- und Waldgruppen nicht mit virtuellen Meetings ersetzen. Wir treffen uns irgendwo vor einem Haus oder im Feld draußen, eine große Plane reicht, dass wir uns alle im Kreis setzen können. Im Schneidersitz begegnen wir uns auf Augenhöhe. Frauen und Männer erzählen uns was sie alles gemacht und erlebt haben. Dann habe ich meist eine Menge Fragen. Auf diese Weise erhalte ich sehr wertvolle und detaillierte Einblicke ins Leben der Menschen, die ich anders aufnehme als unsere Mitarbeiter im Projekt. Für sie ist vieles einfach der herausfordernde Alltag, den sie längst akzeptiert haben und gelernt, mit den Problemen zu leben. Entsprechend schreiben sie ihre Berichte und denken nicht an die vielen Herausforderungen, die sie selbst und die Menschen haben, mit denen sie zusammenarbeiten. Wenn ich höre, wie eine Frauengruppe sich gegen Affen, Papageien oder Elefanten wehren muss, um ihre über Monate gepflegten Reisfelder und Gemüsegärten zu verteidigen, sind meine Gedanken auf Hochtouren dabei Lösungen zu suchen. Hier kommt mir das aufgebaute Wissen aus Mozambique zugute, wo wir mit den Bauern um den Gorongoso Nationalpark Grünzäune und Barrieren mit Bienenstöcken aufbauen.
Möglicherweise wirst Du sagen, wir sollen doch schauen, dass solche Dorfgemeinschaften an sichere Orte umgesiedelt werden, dann lösen sich viele Probleme von selbst. Das ist gerade in Nepal schwierig, denn wir arbeiten mit der untersten Kaste, den Dalits und anderen Minoritäten, die kein Land besitzen, diskriminiert und ausgebeutet werden. Sie haben sich in diesen Regionen angesiedelt, wo sonst niemand leben will. In den kommenden drei Jahren werden diese Menschen vieles lernen um mit den nicht ganz einfachen Gegebenheiten zurecht zu kommen und gleichzeitig auch daran arbeiten, ihr Einkommen zu erhöhen um die notwendigsten Bedürfnisse abdecken zu können.